Zeitgeschichte trifft subtile Spannung

»Adele ist verschwunden.« Mehr mag die Fremde nicht sagen, die sich in einem Café einfach so an den Tisch der Anwältin Cara setzt – und kurz darauf ebenfalls spurlos verschwindet. Die Frau lässt lediglich ihre Handtasche zurück und die kryptische Bitte, Cara möge sich um den Inhalt kümmern. Neben anrührenden Feldpostbriefen aus dem 2. Weltkrieg finden sich in der Tasche Unterlagen über den Verkauf einer Villa in Kassel zu einem symbolischen Preis. Caras Recherchen decken nicht nur die tragische Geschichte einer großen, verbotenen Liebe auf, sondern auch die Schuld einer Liebenden und einen bitteren Verrat.

Feldpost

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Mechtild Borrmann

Mechtild Borrmann

Mechtild Borrmann, Jahrgang 1960, verbrachte ihre Kindheit und Jugend am Niederrhein. Bevor sie sich als Schriftstellerin einen Namen machte, war sie u. a. als Tanz- und Theaterpädagogin und Gastronomin tätig. Die Autorin ist mit zahlreichen renommierten Preisen, u.a. dem deutschen Krimipreis ausgezeichnet worden. Ihre Romane "Trümmerkind" und "Grenzgänger" standen monatelang unter den TOP 10 der Spiegel-Bestsellerliste. Mechtild Borrmann lebt als freie Schriftstellerin in Bielefeld.

Leseprobe

Feldpost

PROLOG

Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, aber das stimmt nicht. Es gibt Verletzungen, die unversorgt geblieben sind, die immer wieder aufbrechen oder hässliche Narben hinterlassen haben. Narben, die sich bei Wetterumschwung mit einem leichten Stechen oder Pochen bemerkbar machen, die unter der Kleidung versteckt unschön auf der Haut liegen und das Geschehene ab und an ins Gedächtnis rufen.
Auch verschwiegene Ereignisse, die wir längst vergessen glauben, drängen von Zeit zu Zeit ans Licht und verlangen nach erneuter Beachtung. Das kann Jahre und manchmal Jahrzehnte später sein.
Da ist ein Foto oder unbekanntes Dokument, das nicht zu den mündlichen Überlieferungen passen will.
Da ist eine Begegnung mit einem, der dabei war. Einem, der die Ereignisse anders in Erinnerung hat, der entlang der dokumentierten Begebenheiten die Zwischenräume mit anderen Erzählungen füllt.
Im Rückblick, im Weitwinkel der Zeit, zeigen sich dann Zusammenhänge, die vorher nicht sichtbar waren. Dann scheint es, als seien von verschiedenen Orten und längst vergangenen Zeiten die Ereignisse unaufhaltsam aufeinander zugelaufen – durch Jahre hindurch und über Entfernungen hinweg.
Eine genaue chronologische Abfolge lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die Erinnerungen sind lückenhaft. Die Rückblicke, von persönlichem Erleben und Gefühlen wie Zorn, Sehnsucht und Resignation geprägt, bezeugen die Zeitabschnitte abweichend voneinander. Somit ist ein lineares Erzählen nicht möglich. Aber die Dinge, die von Bedeutung sind, sind glaubhaft versichert. Beginnen wir also im Jahr 2000, genauer, im Dezember 2000 in Kassel.
Beginnen wir mit dem Anfang vom Ende.

KAPITEL 1
Cassel, 22. Dezember 2000
Cara

Der 22. Dezember 2000 ist ein Freitag. Die Temperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt. Draußen fällt wässriger Schnee, der sich auflöst, kaum dass er den Boden erreicht. Die Menschen eilen, auf der Suche nach letzten Geschenken, mit gesenkten Köpfen und hochgestellten Kragen oder aufgespannten Regenschirmen an den weihnachtlich dekorierten Schaufenstern vorbei. Auf dem Friedrichsplatz täuschen die Lichter des Weihnachtsmarktes wohlige Wärme vor.
Schon gestern hat Cara Russo ihrer Angestellten schöne Feiertage und einen guten Rutsch gewünscht. Für heute hatte nur noch der Termin auf dem Amtsgericht im Kalender gestanden, und jetzt war auch der erledigt. Die Kanzlei würde bis nach Neujahr geschlossen bleiben.
Sie freut sich auf die freien Tage. Christian betreibt eine kleine Buchhandlung in der Stadt. Er wird zwischen den Feiertagen arbeiten, aber sie haben sich vorgenommen, die gemeinsame Freizeit mit Kino, Kochen und Essen mit Freunden und Theaterbesuchen zu verbringen.

Auf dem Weihnachtsmarkt kauft sie noch ein paar Grußkarten und setzt sich damit ins Café Nenninger. Sie bestellt Cappuccino und schreibt die alljährlichen Weihnachts- und Neujahrsgrüße an ihre Eltern und Verwandten im Piemont. Die Eltern waren Anfang der Fünfzigerjahre hergekommen. Eigentlich nur für drei oder vier Jahre, um ordentlich Geld zu verdienen, aber dann war es anders gekommen. Cara wurde geboren, ihr Vater war beim Städtischen Gartenbauamt schnell zum Vorarbeiter aufgestiegen, und die Mutter hatte eine gute Stellung im VW-Werk in der Kantine gefunden. Als sie vor sechs Jahren beide in Rente gingen, hatten sie sich von ihren Ersparnissen ein kleines Haus in der Nähe von Turin gekauft und waren in ihr Heimatdorf zurückgekehrt. Cara hatte sich zwei Jahre zuvor als Anwältin niedergelassen. Sie hatte sich auf Miet- und Arbeitsrecht spezialisiert, und ihre kleine Kanzlei in der Kölnischen Straße lief gut.
Als sie ihr Adressbuch aus der Tasche zieht, fällt ein Bescheid vom Arbeitsgericht heraus. Den hat sie ganz vergessen. Einen Moment überlegt sie, ins Büro zurückzugehen, aber dann legt sie die Papiere auf den Tisch und entscheidet, die Unterlagen von zu Hause aus an den Mandanten zu schicken.

Die Frau steht plötzlich an ihrem Tisch. »Entschuldigen Sie. Alle Plätze sind belegt. Kann ich mich hier dazusetzen?«
»Bitte, gerne«, antwortet Cara freundlich und widmet sich wieder ihren Weihnachtsgrüßen. Die Frau stellt eine schwarze Einkaufstasche aus Kunststoff auf einen der freien Stühle, knöpft ihren nassen braunen Wollmantel auf und bleibt unschlüssig stehen. Cara blickt auf und zeigt mit einem Kopfnicken nach rechts. »Die Garderobe ist dort.«
Die Fremde schüttelt den Kopf. »Ja! Aber … ach nein, ich behalte ihn an«, antwortet sie unsicher und setzt sich. Auch die gehäkelte Mütze aus dicker weinroter Wolle nimmt sie nicht ab. Die abgegriffene beige Handtasche mit Klippverschluss findet Platz auf ihrem Schoß, eingeklemmt zwischen Tischkante und Bauch. Während sie die Karte mit den Speisen und Getränken studiert, betrachtet Cara sie aus den Augenwinkeln. Sie schätzt die Frau auf etwa siebzig. Die Hände sehen nach jahrelanger harter Arbeit aus, und bestimmt geht sie nicht oft in ein Café. Als die Kellnerin an den Tisch kommt, bestellt sie mit leiser Stimme eine Tasse Tee. Dann legt sie die Karte beiseite und sieht Cara an.
»Wohnen Sie hier in Kassel?«, fragt sie, und ohne eine Antwort abzuwarten, spricht sie weiter: »Eine Bekannte von mir hat hier auch gewohnt.« Sie zieht die Augenbrauen zusammen. »Aber die ist nicht mehr da. Eigentlich müsste sie da sein, aber in ihrem Haus, da oben in Wilhelmshöhe … « Sie hebt die Hand, zeigt unsicher in Richtung Fenster und atmet schwer, bevor sie fortfährt: »Die Leute in dem Haus haben gesagt, dass sie da nicht wohnt. Nein, sie haben sogar gesagt, dass es Adele Kuhn da nie gegeben hat. Aber das kann nicht stimmen!« Sie legt die Hände übereinander auf den Tisch, betrachtet sie einen Moment schweigend und sieht Cara dann direkt an. »Ich weiß, dass das nicht stimmt«, flüstert sie über den Tisch hinweg.
Cara runzelt die Stirn. Sie hat sich auf einen entspannten Urlaubsbeginn gefreut, und jetzt sitzt diese offensichtlich verwirrte Frau ausgerechnet an ihrem Tisch. Aber sie will nicht unhöflich sein, daher erkundigt sie sich freundlich: »Sie sind nicht von hier? Darf ich fragen, wo Sie herkommen?«
Die Frau überhört die Fragen. »Haben Sie Ärger mit dem Gericht?«, will sie stattdessen wissen.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
Die Fremde zeigt auf das Schreiben, das immer noch auf dem Tisch liegt.
»Ach so. Nein, ich bin Anwältin. Aber jetzt habe ich Urlaub«, antwortet Cara, erleichtert, dass das Gespräch sich nun realen Dingen zuwendet.
»Anwältin«, flüstert die Frau und gießt reichlich Milch in ihren Tee. »Sind Sie hier in Kassel Anwältin?«, fragt sie weiter.
Cara nickt.

Es entsteht eine Pause. Die Frau rührt den Tee in der dünnwandigen Tasse um. Der helle Ton vermischt sich mit den Stimmen der anderen Cafébesucher um sie herum. »Wie heißen Sie?«, fragt sie schließlich.
Cara zögert, nimmt dann aber eine Visitenkarte aus ihrem Portemonnaie und reicht sie ihr.
Die Frau begutachtet sie mit ausgestrecktem Arm, öffnet den Klippverschluss ihrer Handtasche und lässt die Karte hineingleiten. Dann nimmt sie den Faden ihrer Geschichte, den Blick fest auf die Teetasse gerichtet, wieder auf.
»Die Adele, die ist damals mit der Grazyna und dem Baby hierher. Das weiß ich genau! Ihre Sachen hat sie bei uns auf dem Hof gelassen. Wir sollten gut drauf aufpassen. Sie wollte alles später abholen.« Langsam schüttelt sie den Kopf. »Wir haben lange gewartet und später auch geschrieben. Dreimal geschrieben. Erst meine Mutter und dann ich. Immer an die Adresse in Wilhelmshöhe, die sie uns gegeben hat. Weil es ihr doch so wichtig gewesen ist, mit diesen Sachen. Aber eine Antwort ist nicht gekommen.« Wieder atmet sie schwer. Leise, wie zu sich selbst, spricht sie weiter, und Cara muss sich vorbeugen, um sie zu verstehen. »Danach … es ging ja drunter und drüber, damals. Wie das dann so ist, alles geht seinen Gang. Kein Vieh mehr auf dem Hof, nur die beiden Ochsen und eine Handvoll Hühner. Nur die Mutter und wir zwei Kinder. Wie sollten wir denn alleine den großen Hof versorgen? Bis 1959 haben wir noch auf den Vater gewartet, aber der ist nicht mehr zurückgekommen. Wir hatten weiß Gott andere Probleme.« Sie tätschelt die schwarze Einkaufstasche auf dem Stuhl neben ihrem. »Ich hatte die Adele ganz vergessen, aber vor Kurzem ist meine Mutter gestorben. Achtundachtzig ist die geworden. Ein gesegnetes Alter. Ich habe ihre Wohnung ausgeräumt, und da sind mir die Sachen wieder in die Hände gefallen. Mutter hat sie all die Jahre über aufbewahrt. Hat wohl gedacht, dass die Adele sich mal meldet.« Sie schüttelt den Kopf, hängt einen Moment ihren Gedanken nach. »Aber vielleicht hat sie die Sachen auch einfach vergessen. Es war noch ein Wolltuch dabei. Das haben die Motten zerfressen. Das habe ich weggeschmissen. Die Briefe haben auch Mottenfraß an den Ecken, aber nicht so schlimm.« Sie nimmt einen Schluck Tee.

Cara legt ihren Stift beiseite und ist jetzt aufrichtig interessiert.
»Wann haben Sie denn zuletzt von Ihrer Freundin gehört? Ich meine, wenn ich Sie richtig verstehe, ist das über fünfzig Jahre her. Da kann doch für Ihre Freundin viel passiert sein. Vielleicht ist sie einfach umgezogen, oder sie hat geheiratet und lebt jetzt in einer anderen Straße, einer anderen Stadt.«
Die Frau nickt. »Ja, das kann natürlich sein, aber sie hat da gewohnt. Warum sagen die Leute, dass es sie da nie gegeben hat?«
Cara hebt hilflos die Schultern und versucht sich an einer Erklärung. »Bestimmt wissen sie nur nicht, wer vor so langer Zeit dort gewohnt hat.«
Wieder entsteht eine Pause. Die Frau scheint über die Antwort nachzudenken. Dann nimmt sie ihre Handtasche vom Schoß und steht auf. »Wo sind denn hier die Toiletten?«
Cara zeigt in die Richtung und sieht ihr nach. Anschließend widmet sie sich wieder ihren Weihnachtsgrüßen. Die letzte Karte geht an ihre Eltern. Sie wünscht ein frohes Fest, bedauert, an den Feiertagen nicht bei ihnen zu sein, und verspricht, an Heiligabend anzurufen.
Erst als sie die Post mit Briefmarken beklebt, fällt ihr auf, dass die Frau noch nicht zurück ist. Das geht mich nichts an, versucht sie sich einzureden, aber die nur zur Hälfte geleerte Teetasse steht da wie eine Mahnung. Ein Schwächeanfall? Vielleicht die Aufregung? Sie geht zu den Toiletten hinüber und sieht nach. Beide Kabinen sind unbesetzt, die Frau ist nicht mehr da.

Buch Mockup Mechtild Borrmann: Feldpost

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Mechtild Borrmann im Interview

Was verbirgt sich hinter dem Titel "Feldpost"? 

Es geht um die unheilvolle Verknüpfung einer verbotenen Liebe mit einer unerwiderten Liebe, um die langjährige Freundschaft zweier Familien und einem symbolischen Hausverkauf mit fatalen Folgen - und es geht um Feldpostbriefe, die nach über 50 Jahren auftauchen, obwohl es sie eigentlich nicht mehr geben kann.

Auf welchen wahren Begebenheiten gründet sich Ihr Roman? 

Es wurde mir von einem Hausverkauf gegen einen symbolischen Preis glaubhaft berichtet. Die Schicksale von Richard und Albert sind anhand diverser Aussagen und Berichte von Zeitzeugen sowie Material über die Verfolgung Homosexueller entstanden.

Existieren in Ihrer Familie Feldpostbriefe? 

Bestimmt hat es in meiner Familie Feldpostbriefe gegeben, denn fünf Brüder meiner Mutter wurden im Laufe des Krieges eingezogen. Aber der elterliche Hof wurde zerstört und dabei sind wohl auch die Feldpostbriefe verloren gegangen.

Auch als Hörbuch erhältlich!

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