Das große Finale der Baltimore-Reihe

Ein Mordanschlag, dem sie nur knapp entkommen ist, hat Strafverteidigerin Gwyn Weaver zu einer toughen Frau werden lassen. Trotzdem ist sie kurz davor, ihrem Freund und Kollegen Thomas Thorne ihre Gefühle zu offenbaren. Doch dann findet sie den Anwalt neben der Leiche einer Frau, ihr Blut an seinen Händen. Thomas kann sich an nichts erinnern. Gwyn, die an seine Unschuld glaubt, setzt alles daran, ihrem Freund zu helfen. Keiner von beiden ahnt, dass dies erst der Anfang eines gnadenlosen Rachefeldzugs ist: Jemand ist gekommen, um Thomas alles zu nehmen – vor allem jene, die er liebt …

Leseprobe

Todesnächte

Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten und wartete geduldig, während einer seiner zuverlässigsten Mitarbeiter mit einem leuchtend gelben Aktendeckel in der Hand das Büro betrat. Er hoffte inbrünstig, dass Ramirez ihn nicht enttäuschen würde, allerdings bezweifelte er es. Was ziemlich übel wäre.

»Hier ist die Information, die Sie haben wollten«, sagte Ramirez und legte die Akte auf den Tisch. Er wirkte wie immer völlig gelassen und entspannt.

Dass Ramirez ihn so lange hintergangen hatte ...

Hätte er die Beweise nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte er sich schlicht geweigert, es zu glauben. Ramirez war wie ein Sohn für ihn gewesen. Ein Sohn, der sein vollstes Vertrauen genoss.

»Setzen Sie sich«, forderte er ihn auf, sorgsam darauf bedacht, dass sein Tonfall ihn nicht verriet, schlug die Akte auf und blätterte darin. Und seufzte. »Die Unterlagen sind unvollständig.«

Ramirez runzelte die Stirn. »Das kann nicht sein. Ich habe die Daten eigenhändig zusammengestellt. Das ist alles, was über Thomas Thorne bekannt ist.«

»Das kann nicht sein«, erwiderte er, wobei er mit Absicht dieselbe Formulierung wie sein Mitarbeiter wählte. »Das weiß ich deshalb, weil ich Patton mit derselben Suche beauftragt habe. Seine Akte war doppelt so dick. Ihre hingegen liefert nichts, was ich nicht auch über Google hätte herausfinden können.« Er klappte die Akte zu und faltete die Hände darauf. »Wie sollte ich Ihrer Ansicht nach darauf reagieren?«

Ramirez fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Seine Nerven schienen zu versagen. »Reagieren? Inwiefern?«

»Was Sie betrifft, mein Freund.« Er öffnete seine Schreibtischschublade und nahm die Fotos heraus, die Patton von Ramirez geschossen hatte. Und von Thomas Thorne. Bei einem heimlichen Treffen. »Möchten Sie mir das vielleicht erklären?«

Ramirez sog den Atem ein. »Sie haben jemanden auf mich angesetzt?«

»Ja. Thorne scheint eine ganze Menge über meine Operationen zu wissen, und ich habe mich gefragt, wie das möglich ist. Ich habe jeden aus meinem unmittelbaren Umfeld überwachen lassen – von dem Mann, der den Job desjenigen bekommt, der sich als der Verräter entpuppt.« Er lächelte. »Patton ist extrem gründlich vorgegangen. Er wird einen erstklassigen leitenden Angestellten abgeben.«

Ramirez schluckte. »Ich habe Sie niemals verraten.«

»Ich glaube Ihnen kein Wort.«

»Patton hat die Aufnahmen mittels Photoshop manipuliert.«

Er schaltete sein Handy ein und scrollte durch die Fotos. »Ah, hier ist es ja. Sie mit Thorne.« Er hielt das Telefon so hin, dass Ramirez das Foto sehen konnte. »Das hier habe ich selbst aufgenommen.«

Ramirez wurde blass, doch dann drückte er die Schultern durch, reckte das Kinn und sah ihn an, fügte sich in sein Schicksal.

»Meine Frau hatte nichts damit zu tun.«

Er zuckte die Achseln. »In dem Fall ist es bedauerlich, dass auch sie sterben muss.«

»Nein!« Ramirez sprang auf und riss die Hände vor, als wollte er ihm an die Gurgel gehen, erstarrte jedoch, als er die auf ihn gerichtete Waffe sah. Sein Atem kam stoßweise.

»Wieso?«, fragte er seinen Angestellten nur, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Wieso haben Sie Thorne die Informationen gegeben?«

»Das habe ich nicht«, erwiderte Ramirez beharrlich.

»Sie werden sowieso sterben, alter Freund, egal was Sie sagen. Ich kann dafür sorgen, dass es schnell geht, oder es aber in die Länge ziehen. Und dasselbe gilt für Ihre reizende Frau. Schnell oder lieber langsam und qualvoll? Also – warum?«

Ramirez schloss die Augen. »Sie haben meinen Neffen ermordet.«

Er zog die Brauen hoch. »Tatsächlich?«

»Ihre Leute. Er war erst sechzehn, noch ein Junge. Vor zwei Jahren geriet er ins Kreuzfeuer, als Sie Ihre Leute zu einem Ihrer Feinde geschickt haben, damit sie ihn im Vorbeifahren abknallen. Das Problem war nur, dass sie das falsche Haus ins Visier nahmen und den Sohn meiner Schwester mit Kugeln vollgepumpt haben.« Wut und Trauer spiegelten sich in Ramirez’ Augen. »Und es hat Ihnen noch nicht mal leidgetan. Seit zwanzig Jahren arbeite ich für Sie, und es hat Ihnen nicht mal leidgetan.«

»Tut es auch jetzt nicht«, erwiderte er, richtete die Waffe auf Ramirez’ Bauch und feuerte in rascher Folge drei Schüsse in einem Radius von nur wenigen Zentimetern ab. Mit einem Stöhnen ging Ramirez zu Boden.

Er erhob sich und blickte auf den Mann, der sich auf dem Fußboden wand. Zu der Wut und dem Kummer in seinen Augen gesellten sich nun der Schock der Erkenntnis, unsägliche Schmerzen und abgrundtiefer Hass, als Ramirez ihn ansah. »Sie haben gesagt, es würde schnell gehen«, presste er hervor. »Sie haben gelogen.«

»Genauso wie Sie.«

»Nein. Nein«, stöhnte Ramirez. »Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe Ihnen gesagt, wieso ich Thorne die Informationen gegeben habe.«

»Zu wenig und zu spät, mein alter Freund.« Das letzte Wort kam voll höhnischem Abscheu über seine Lippen. »Sie haben mich jeden Tag belogen, den Sie zur Arbeit gekommen sind, haben Gehalt kassiert und mich gleichzeitig die ganze Zeit verraten.«

Ramirez’ glasige Augen wurden schmal. »Und wieder mal geht es bloß um Sie, was? Mein alter Freund?« Er blinzelte. »Natürlich. Das tut es doch immer.« Er starrte Ramirez eine volle Minute lang an. Wie hatte er diese Trauer übersehen können? Diese Wut? Diesen tiefschürfenden Hass?

Schließlich setzte er sich wieder hin. Die Antwort lag auf der Hand: Er hatte all das in Ramirez’ Augen nicht erkannt, weil er es von sich so gut kannte, es jeden gottverdammten Tag aufs Neue im Spiegel sah. Seit ihm das Gefängnis seinen Sohn in einem Leichensack überbracht hatte, nur ohne seine Eingeweide. Die hatten sich auf den Schmutz des Gefängnishofs ergossen, wo man ihn aufgeschlitzt und förmlich ausgeweidet hatte, schnell und fachgerecht. Und qualvoll.

Er schloss die Augen, als eine neuerliche Woge des Schmerzes über ihn hinwegwusch und sich wie ein Schraubstock um seine Brust legte, die ihm den Atem abschnürte. Sein Sohn hatte Höllenqualen leiden müssen, bis zum letzten Atemzug.

Ramirez kam noch viel zu gut weg, dachte er kalt.

Er drückte die Taste der Gegensprechanlage. »Jeanne, schick mir bitte Patton rein. Und sag ihm, er soll Mrs Ramirez mitbringen. Und zwei Leichensäcke. Mr Ramirez ist noch nicht tot, aber lange wird es nicht mehr dauern. Und in ein paar Minuten schick jemanden mit einem Wischmopp herein. Mein Fußboden ist voller Blut.«

»Natürlich, Sir«, erwiderte Jeanne mit bewundernswerter Gelassenheit. Seine Büroleiterin ging stramm auf die sechzig zu, und schon heute graute ihm vor dem Tag ihrer Pensionierung. Immerhin brachte sie bereits ihre Nachfolgerin in Stellung, die zugegebenermaßen über dasselbe Organisationstalent verfügte wie ihre Mutter: Margo, die Jüngere von Jeannes zwei Mädchen, war wie eine Tochter für ihn.

Ihre Ältere dagegen, Kathryn, war zu einer Seelenverwandten für ihn geworden, in einer Art, wie er es nicht mehr für möglich gehalten hatte. Kathryn wärmte ihm nicht nur das Herz, sondern auch das Bett, obwohl sie beide wussten, dass er für den Rest seines Lebens um Madeline trauern würde. Sie selbst hatte Kathryn zu ihrer Nachfolgerin auserkoren, was zwar den Übergang ein wenig leichter gemacht hatte, trotzdem würde er sie niemals in den Status seiner Ehefrau erheben. Zum Glück erwartete sie das auch gar nicht, sondern gab sich damit zufrieden, die Geliebte eines sehr mächtigen Mannes zu sein.

»Noch etwas?«, fragte Jeanne.

»Ja. Sag Margo, dass ich sie in einer halben Stunde sprechen muss.«

Sein Enkel Benny und dessen Mutter waren alles, was ihm von seinem Sohn Colin geblieben war. Er registrierte den neuerlichen Schmerz, der ihn erfasste, hieß ihn willkommen. Den Tod seines Sohnes zu rächen, war die Motivation, die ihn jeden Morgen aus dem Bett aufstehen ließ. »Ich habe eine Aufgabe für sie.«

»Sie elendes Schwein«, stöhnte Ramirez, als die Tür aufging und seine weinende gefesselte Frau hereingebracht wurde.

Er lächelte. »Wie lautet noch mal das Sprichwort über den Topf und den Deckel? Ziemlich mutig von Ihnen, Mr Ramirez. Ihr Verrat zieht weite Kreise. Sie können uns jetzt entschuldigen, Mr Patton, aber bleiben Sie in der Nähe. Wir werden die Leichensäcke bald brauchen.«

Er erhob sich wieder, zog seine Sachen aus und legte sie sorgsam gefaltet in den Wandschrank. Er mochte seinen Anzug und wollte nicht, dass er Blutflecke bekam. Vorsichtig streifte er das Lederband mit der kleinen Phiole über den Hals. Sie enthielt Madelines Asche, und bald würde er etwas von Colins dazugeben.

Wieder flammte die Wut in ihm auf, als er das Band auf seine Sachen legte und die Schranktür schloss. »Also, Mrs Ramirez. Ich entschuldige mich im Voraus für die Schmerzen, die ich Ihnen gleich zufügen werde. Sollten Sie jemanden verfluchen wollen, nehmen Sie Ihren Ehemann. Sein Verrat ist der Grund, weshalb Sie hier sind.«

»Nein«, erwiderte Mrs Ramirez fest. »Ich würde meinen Mann niemals verfluchen.«

Aber genau das tat sie. Am Ende verfluchten sie immer denjenigen, dessen Verfehlungen sie ihm ans Messer – oder in diesem Fall den Bohrer – geliefert hatten. Alle. Mrs Ramirez musste entsetzlich leiden, ehe er Gnade walten ließ und sie mit einer Kugel in den Kopf erlöste.

Dann erledigte er seinen einstigen Mitarbeiter mit einer letzten Kugel ins Herz, ging unter die Dusche, um die Schweinerei abzuwaschen, und zog sich an. Schließlich rief er Patton herein, damit er die Leichen wegschaffte, setzte sich an seinen Schreibtisch und zog die deutlich dickere Akte seines neuen leitenden Angestellten zu sich heran.

Patton war in der Tat mit großer Sorgfalt vorgegangen und hatteim Gr unde alles herausgefunden, was er selbst bereits ausgegraben hatte. Nichts Neues. Schon seit Monaten arbeitete er an seinem Plan, Thomas Thorne in die Knie zu zwingen.

Thorne würde ebenso um Gnade winseln wie Ramirez’ Frau gerade – vergeblich, genauso wie in ihrem Fall.

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